Gedenkandacht 2024
Der Friede der Wellen des Meeres sei sein,
Der Friede des Fließens der Lüfte sei sein,
Der Friede der ruhigen Erde sei sein,
Der Friede der leuchtenden Sterne sei sein,
Der Friede der nächtlichen Schatten sei sein
Mond und Sterne mögen ihm immer leuchten.
- Alter Gälischer Segen -
Meine Trauer und ich
Heute hatte ich mal wieder Besuch. Von einer guten, alten Bekannten.
Sie kommt ab und zu vorbei. Mal kurz, mal lang. Aber eigentlich immer überraschend. Meine Trauer kam vorbei. Wir kennen uns inzwischen gut. Sehr gut sogar. Zu gut - denke ich manchmal. Zu Beginn unserer Bekanntschaft, als wir noch verabredet waren, ich also wusste, dass sie kam, war unsere Beziehung, tja, wie soll ich es nennen, „okay".
Ich war vorbereitet, hatte jede Menge Taschentücher bereitgelegt...
Dann, nach ein paar Wochen regelmäßigen Treffens, dachte ich
"Das war's jetzt. Die sehe ich so schnell nie wieder!" und war froh darüber - denn, ehrlich, mal unter uns: Wer trifft sich schon gerne mit Jemandem, der einen immer nur zum Weinen bringt?!? Als sie dann aber plötzlich erneut, und diesmal unangekündigt, sozusagen "von jetzt auf gleich", bei mir vor der Tür stand, habe ich ihr erschreckt die Tür vor der Nase zugeschlagen.
Und die Tür abgeschlossen. Ganz fest. Ich habe dann sogar noch einen extra
Riegel mit Kette, kennt man ja aus den Filmen, einbauen lassen.
Ich wollte sicher sein, dass sie nicht in meine Nähe kommt.
Aber sie ließ sich nicht abschütteln... Manchmal ging ich durch die Stadt,
hörte eine Melodie.... Und ZACK lief ich ihr direkt in die Arme.
Wie peinlich war das denn?!?? Steh ich da in der Stadt und fang so an zu heulen!!!Ich wurde also immer vorsichtiger, versuchte Alles zu vermeiden,
was sie anlocken könnte. Aber… Meist schaffte sie es doch, mich zu erwischen.
Sie war dann oft richtig heftig drauf…Ich glaube, wir mochten uns Beide nicht.
Aber eines Tages, ich erinnere mich noch genau, dachte ich mir:
'Okay! Lass uns Frieden schließen! ‘Wir werden uns wohl immer begegnen...,
warum also dann nicht bei mir zuhause. Da ist es wenigstens gemütlich.
Und es stört niemanden, wenn ich weine. Was soll ich sagen?
Seitdem wir beschlossen haben, miteinander klar zu kommen, ist es ganz gut geworden. Nein, es ist sogar richtig gut geworden! Nun sitzen wir manchmal
Seite an Seite auf meinem Sofa, schauen einen Film von früher, ich beginne zu weinen -und meine Trauer nimmt mich tröstend in die Arme! Das ist schön!
Und wohltuend... Da habe ich gemerkt: Meine Trauer will einfach nur liebevoll angenommen werden. Gesehen werden. Nicht abgewiesen.... Seitdem treffen wir uns nur noch sporadisch. Wenn ich ihr heute überraschend begegne, nehme ich sie freudig in die Arme, wie ich es ja auch mit anderen alten Freunden tue. Wir reden kurz -ich muss auch kaum noch weinen- und dann geht sie auch schon wieder. Mittlerweile habe ich sie fast liebgewonnen.
Meine Trauer.
Martina Belling, 20. Mai 2021